Mohnblume
(Foto: Gabi Faulhaber)

Anträge

Antrag der Fraktion DIE LINKE.: Pflegeleistungen für Menschen in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe müssen in voller Höhe von den Pflegekassen übernommen werden

Beschlussvorschlag

Die Verbandsversammlung möge beschließen:

1.) Die Landesregierung Hessen wird aufgefordert sich bei der Bundesregierung für eine Überarbeitung der Regelungen des Paragraphen § 43a SGB XI einzusetzen, so dass die Pflegeleistungen für Menschen in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe in voller Höhe von den Pflegekassen übernommen werden.

2.) Die Landesregierung Hessen wird aufgefordert bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auf Bundesebene diese Mehrkosten des LWV Hessen von 111 Millionen Euro (Stand: 2021) aus dem Landeshaushalt zu tragen und die Kommunen bei den Kosten der Eingliederungshilfe zu entlasten.

Die Verbandsversammlung stellt fest:

3.) Die derzeitige Regelung im § 43a SGB XI, die eine Pauschale von 266 Euro bei den Pflegekosten für Menschen in besonderen Wohnformen (früher: stationäre Einrichtungen) vorsieht, ist nicht ausreichend und stellt eine Benachteiligung der besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe gegenüber Seniorenheimen und der häuslichen Pflege dar.

4.) Es ist nicht tragbar, dass hier eine signifikante Ungleichbehandlung erfolgt, die dem Gedanken der Inklusion widerspricht und sogar ggf. dazu führt, dass Menschen mit Behinderungen vorzeitig in Pflegeheimen untergebracht werden, da diese kostengünstiger sind als Einrichtungen der Eingliederungshilfe.

5.) Die Verbandsversammlung des LWV Hessen erachtet es für dringend notwendig, dass hier über Parteigrenzen hinweg eine Initiative ergriffen wird, eine Lösung zu finden, die diese Ungleichbehandlung beendet.

Der Verwaltungsausschuss wird gebeten,

1.) Rechtliche Schritte zu prüfen, welche Klagemöglichkeiten der LWV Hessen diesbezüglich hat.

2.) Ein neues aktualisiertes Gutachten bei Herrn Prof. Welti in Auftrag zu geben, dass die Entwicklungen der letzten 6 Jahre umfasst und das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Rheinland-Pfalz hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 43a SGB XI mit GG und UNBRK kritisch überprüft.

Begründung:

 

Auf der letzten Sitzung des Sozialausschuss wurde auf eine Anfrage der CDU geantwortet, dass der LWV derzeit 111 Millionen Mehrkosten trägt, die auf die Unzulänglichkeiten des Paragraphen § 43a SGB XI zurückzuführen sind. Das Gutachten von Prof. Dr. Welti in 2016 kam zu dem klaren Ergebnis, dass sowohl ein Verstoß gegen das Grundgesetz als auch gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vorliegt.
Es ist ganz eindeutig, dass hier eine signifikante Ungleichbehandlung von zwei Gruppen von Pflegebedürftigen erfolgt, die dem Gedanken der Inklusion widerspricht. Es ist zu befürchten, dass der enorme Kostendruck dazu führt, dass Menschen mit Behinderungen vorzeitig in Pflegeheimen untergebracht werden, da diese kostengünstiger für den überörtlichen Träger der § 43a SGB XI Eingliederungshilfe sind.
Dieser Entwicklung muss entgegengewirkt werden. Das Land Hessen kann sich diesbezüglich auf der Ebene der Bundesländer für eine neue Regelung des § 43a SGB XI einsetzen.
Ebenso hat das Land Hessen die Möglichkeit sich stärker an den Kosten der Eingliederungshilfe zu beteiligen, bis eine solche Neuregelung geschaffen ist. Dadurch könnten die Kommunen und Städte deutlich entlastet werden.

Der Verwaltungsausschuss sollte zu dieser Thematik ein neues Rechtsgutachten einholen.  Denn es fehlt ein aktuelles Gutachten aus hessischer Sicht, dass die Mehrkosten von 111 Mio. Euro durch den überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe umfasst. Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Rheinland-Pfalz hat diese enorme Kostenentwicklung von "systemwidrigen" Pflegeleistungen für den überörtlichen Träger nicht im Blick und ist daher keine sachgemäße Beschreibung der Situation in Hessen.  

 

Zur weiteren Information veröffentlichen wir hier eine Stellungnahme des Verwaltungsausschusses Zu einer Anfrage der CDU-Fraktion:

Zur Anfrage der CDU-Fraktion vom 27. 6. 2022 betreffend „Systemwidrige Leistungen“ Pflegeversicherungen - Pflegegeld (§ 43a SGB XI) nimmt der Verwaltungsausschuss wie folgt Stellung:

1. Wie bewertet der LWV Hessen unter den heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen des Bundesteilhabegesetzes die Ergebnisse des in den Vorbemerkungen genannten Gutachtens/ der Studie des Kasseler Rechtswissenschaftler Prof. Dr. jur. Felix Welti?

Das Gutachten von Prof. Dr. Welti kommt zu dem klaren Ergebnis, dass sowohl ein Verstoß gegen das Grundgesetz als auch gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vorliegt. Im Hinblick auf die gesetzlichen Änderungen im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes werden die seinerzeit im Gutachten von Prof. Dr. Welti gefundenen Ergebnisse zum Teil relativiert. Die Argumente haben bezogen auf die Belastung der Bewohner an Brisanz verloren. So ist der Anteil an sog. Zahlfällen gesunken, da die Einkommens- und Vermögensgrenzen gegenüber 2019 deutlich angehoben wurden. Auch sind die von den Betroffenen nach §§ 135 ff SGB IX aufzubringenden Beiträge in ihrer Höhe nicht abhängig vom Pflegebedarf. Der Bedarf
wird im Rahmen der Eingliederungshilfe (§ 103 Abs. 1 SGB IX) gedeckt. Zu berücksichtigen ist auch, dass es letztlich in der Hand des Gesetzgebers liegt, welche Neuregelung er trifft. Selbst wenn die Verfassungswidrigkeit festgestellt würde, ergäbe sich daraus kein Anspruch in Höhe der in anderen Wohnsituationen bestehenden Pflegeleistungen (bis zu 2.005,00 € monatlich in Pflegeheimen § 43 SGB XI; bis zu 2.095,00 € monatlich häusliche Pflege § 36 SGB XI). Bisher hat auch das Bundessozialgericht die Verfassungsmäßigkeit von § 43a SGB XI angenommen (z. B. aktuell im Urteil vom 11.11.2021, AZ: B 3 P 3/20 R). Im Hinblick auf die durch Beibehaltung von § 43a SGB XI weiterhin bestehende Ungleichbehandlung und die Kostenverlagerung von der Pflege in die Eingliederungshilfe bleibt weiterhin die Option, politisch eine entsprechende bundesgesetzliche Neuregelung anzustoßen.

Die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen seit 2020 hat der Wissenschaftliche Dienst des rheinland-pfälzischen Landtags geprüft. Das Gutachten ist in der Anlage beigefügt.
Im Rahmen des parlamentarischen Abends im September 2016 in Berlin erklärte die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die Koalitionspartner in Rheinland-Pfalz hätten sich darauf verständigt, die Verfassungsmäßigkeit von § 43a SGB XI mit seinen korrespondierenden Regelungen im Recht der Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe zu prüfen und dann auch vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu gehen. Im Hinblick auf die grundlegenden Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz wurde inzwischen der Wissenschaftliche Dienst des Landtags Rheinland-Pfalz mit der Prüfung beauftragt.
In seinem Gutachten vom 13. Mai 2020, Az.: 52-1714, zur „Vereinbarkeit des § 43a S. 1 - 3 SGB XI mit dem Grundgesetz und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN–Behindertenrechtskonvention)“ kommt der Wissenschaftliche Dienst des Landtages zu dem Ergebnis, dass § 43a SGB XI in der ab 01.01.2020 geltenden Fassung i. V. m. § 103 Abs. 1 S. 2 SGB XI und § 36 Abs. 4 S. 1 Halbsatz 2 SGB XI sich grundsätzlich verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt. Ein Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention wird verneint. Gleichzeitig wird vorangestellt, dass die politische Bewertung von § 43a SGB XI nicht Gegenstand der Stellungnahme war.

Im Ergebnis ist das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Rheinland-Pfalz, das sich ausdrücklich mit den Ausführungen von Prof. Dr. Welti auseinandersetzt, nachvollziehbar. Die vom Wissenschaftlichen Dienst vertretene Rechtsauffassung widerspricht zum Teil der von Prof. Dr. Welti vertretenen, jedoch sind beide Auffassungen jeweils juristisch vertretbar. Insgesamt führt dies dazu, dass die rechtliche Bewertung im Ergebnis nicht eindeutig ist und damit im Hinblick auf eine Änderung der bestehenden Reglung nicht belastbar erscheint.
Im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages Rheinland-Pfalz vom Mai 2020 wird dazu im Wesentlichen auf Folgende Punkte eingegangen:

- Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG)
Im Ergebnis wird lediglich für die Gruppe der Selbstzahler, welche keine Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, die verfassungsrechtliche Rechtfertigung als problematisch angesehen, da sie in Einrichtungen und Räumlichkeiten im Sinne von § 71 Abs. 4 SGB XI (besondere Wohnformen) nur die geringe Pauschale nach § 43a SGB XI  beanspruchen können und die durch höheren pflegerischen Bedarf entstehenden Kosten selbst tragen müssen. Für diesen Personenkreis besteht aufgrund der Pauschale von nur 266,00 € monatlich ein deutliches Missverhältnis von Versicherungspflicht und Versicherungsleistung sowie gegenüber in anderen Wohnsituationen befindlichen pflichtversicherten pflegebedürftigen Selbstzahlern (vgl. § 36 Abs. 2, § 43 SGB XI). Der übergeordnete Zweck der Pflichtversicherung, Schutz gegen das Risiko vor Pflegebedürftigkeit zu gewähren, wird nur unzureichend erfüllt. Die Regelung begegnet daher insoweit verfassungsrechtlichen Bedenken. Diesen könnte, so der wissenschaftliche Dienst, der Gesetzgeber aber - ohne den Regelungskomplex grundlegend zu ändern - durch die Einführung eines Härteausgleichs für die pflegebedürftigen Selbstzahler in besonderen Wohnformen begegnen, bei denen die Leistungen der Pflegeversicherung von maximal 266,00 € monatlich die tatsächlichen Pflegekosten nur unzureichend decken.

Im Übrigen wird dargelegt, dass die unterschiedlichen Pflegeversicherungsleistungsansprüche zwar für die Betroffenen einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs.1 GG darstellen, die Eingriffe seien aber verfassungsrechtlich für Bezieher von Eingliederungshilfe einschließlich der Beitragszahler verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Ein grundrechtsrelevanter Eingriff in Art. 11 GG wird im Hinblick auf die Regelung des § 103 Abs.1 Satz 2 SGB IX in Zweifel gezogen. Selbst unter der Annahme, dass ein Eingriff in Art. 11 GG vorliege, sei auch dieser verfassungsrechtlich gedeckt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei anerkannt, dass es vornehmlich Sache des Gesetzgebers ist, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will. § 43a SGB XI trifft eine abschließende Regelung, der mit Beibehaltung im Rahmen der Reform des Eingliederungshilferechts eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung zugrunde liege. Der Zweck der Regelung sei legitim, die Regelung geeignet, erforderlich und angemessen. Der Gesetzgeber verfüge insoweit über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum. Die jeweiligen Einkommens- und Vermögensgrenzen im SGB IX sind deutlich höher als vor 2020, so dass deutlich weniger Personen einen Beitrag aufzubringen haben. Pflegeleistungen sind in besonderen Wohnformen Bestandteil der Eingliederungshilfe.
Die gesamten Kosten für die Pflege sind vom Träger der Eingliederungshilfe zu tragen; ein steigender Pflegebedarf führt trotz § 43a SGB XI nicht zu einem höheren Beitrag aus Einkommen.
Ein Verstoß gegen das besondere Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sei nicht gegeben. Die unterschiedliche Behandlung knüpfe an die Wohnsituation und nicht an die Behinderung an. Heranzuziehen seien entgegen dem Ansatz von Prof. Dr. Welti mit der ganz herrschenden Meinung als Vergleichsgruppe die Menschen, die nicht in besonderen Wohnformen leben. Die unterschiedlichen Leistungen knüpfen bei der relevanten Vergleichsgruppe außerhalb von besonderen Wohnformen nicht an das Bestehen oder Nichtbestehen der Behinderung sondern allein daran an, wo sich der Mensch mit Behinderung versorgen lasse.
- Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
Der Wissenschaftliche Dienst des rheinland-pfälzischen Landtages hat geprüft, ob die in § 43a SGB XI in Verbindung mit § 36 Abs. 4 Satz 1 HS 2 SGB XI und § 103 Abs. 1 Satz 2 SGB IX mit der UN-BRK vereinbar sind. Nur wenige Regelungen der UN-RK sind unmittelbar im nationalen Recht der Vertragsstaaten anwendbar bzw. gewähren eine subjektive individualschützende Rechtsposition. Ein Verstoß gegen Art. 19 UN-BRK (unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft), Art. 25 UN-BRK (Gesundheit) und Art. 28 UN-BRK (angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz) könne mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der Normen nicht festgestellt werden.
Der Wissenschaftliche Dienst kommt also anders als Prof. Dr. Welti zu dem Ergebnis, dass bei den in Betracht kommenden Regelungen allein Art. 5 Abs. 2 UN-BRK (allgemeines Diskriminierungsverbot) unmittelbar anwendbar ist. Ein Verstoß liege aber nicht vor. Unter Hinweis auf die vom Bundessozialgericht vertretene Rechtsauffassung zum Krankenversicherungsrecht, dass der Regelungsgehalt des Art. 5 UN-BRK dem des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (besonderes Benachteiligungsverbot) entspreche, wird dies auch für die Pflege angenommen. Die UN-BRK schaffe kein Sonderrecht. Damit liege trotz Anwendbarkeit kein Verstoß vor. Die unterschiedliche Behandlung knüpfe an die Wohnsituation und nicht an die Behinderung an.


2. Ist in Anknüpfung an das Gutachten/ die Studie geprüft worden, ob und welche Möglichkeiten einer (verfassungs-)rechtlichen Überprüfung es gibt und/ oder ist in Betracht gezogen worden, hier ggf. eine Musterklage anzustrengen bzw. zu unterstützen?

Es wurden - auch über die Bundesarbeitsgemeinschaft überörtlicher Eingliederungshilfe- und Sozialhilfeträger (BAGüS) - verschiedene Möglichkeiten erörtert. So z. B. ein Norm-kontrollverfahren, eine Verfassungsbeschwerde oder eine Musterklage (durch einen Selbstzahler). Seitens des LWV Hessen wurde insoweit die Auffassung vertreten, dass dies durch ein anderes Bundesland unterstützt bzw. angestrengt werden sollte, da das Gutachten bei Prof. Dr. Felix Welti von uns in Auftrag gegeben und zur Verfügung gestellt wurde.
Im Rahmen des parlamentarischen Abends im September 2016 in Berlin erklärte die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die Koalitionspartner in Rheinland-Pfalz hätten sich darauf verständigt, die Verfassungsmäßigkeit von § 43a SGB XI mit seinen korrespondierenden Regelungen im Recht der Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe zu prüfen und dann auch vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu gehen. Im Hinblick auf die grundlegenden Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz wurde inzwischen der Wissenschaftliche Dienst des Landtags Rheinland-Pfalz mit der Prüfung beauftragt.
In seinem Gutachten vom 13. Mai 2020, Az.: 52-1714, zur „Vereinbarkeit des § 43a Sätze 1 - 3 SGB XI mit dem Grundgesetz und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention)“ kommt der Wissenschaftliche Dienst des Landtages zu dem Ergebnis, dass § 43a SGB XI in der ab 01.01.2020 geltenden Fassung i. V. m. § 103 Abs. 1 Satz 2 SGB XI und § 36 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI sich grundsätzlich verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt. Ein Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention wird verneint. Mithin wird von dort wohl keine gerichtliche Klärung angestrengt werden.

3. Sieht der LWV Hessen neben den verfassungsrechtlichen Fragestellungen weitere juristische Möglichkeiten, die aus Sicht des Verbandes systemwidrige  Ungleichbehandlung rechtlich anzugreifen?

Eine Gesetzesänderung kann über die Länder bzw. formell über den Bundesrat angestoßen werden. Dazu wäre vorab zu klären, welche Leistungen konkret in Einrichtungen und Räumlichkeiten nach § 71 Abs. 4 SGB XI (besonderen Wohnformen) durch die Pflegeversicherung erbracht werden bzw. finanziert werden sollen. Es wäre zu erörtern, welche Leistungen der Pflegeversicherung erforderlich wären, um die Ungleichbehandlung aufzulösen. Der Wegfall von § 43a SGB XI allein löst das Problem nicht. Es muss eine Anspruchsgrundlage geschaffen werden. Der pauschalierte Betrag von derzeit 266,00 € monatlich ist in vielen Fällen unzureichend, aber es ist nicht zwingend, dass die Pflegeversicherungsleistungen in besonderen Wohnformen den Sachleistungen der stationären oder ambulanten Pflege entsprechen. Die Leistungssysteme sind völlig unterschiedlich und müssten besser aufeinander abgestimmt werden.

4. Sind über den parlamentarischen Abend der BAGüS am 19. September 2016 hinaus weitere politische Initiativen des LWV Hessen, der BAGüS oder der Kommunalen Spitzenverbände erfolgt, die dem Anliegen der Darstellung der Systemwidrigkeit der Leistungen auf politischer und fachlicher Ebene Nachdruck verliehen haben?

Konkrete weitere Initiativen der BAGüS werden wegen der oben geschilderten strittigen Rechtsfragen als nicht erfolgversprechend eingeschätzt und sind daher derzeit nicht geplant.
Der LWV Hessen hat sich gemeinsam mit dem Hessischen Landkreistag, dem Hessischen Städtetag und dem Hessischen Städte- und Gemeindebund mit Schreiben vom 31.05.2021 an Herrn Ministerpräsidenten Volker Bouffier und die Herren Staatsminister Michael Boddenberg, Kai Klose und Peter Beuth gewandt. In diesem Schreiben wurde dargelegt, dass der LWV systemwidrige Leistungen erbringt, die eigentlich nicht in die Eingliederungshilfe gehören. Dort wurde als Beispiel auch die Begrenzung auf Leistungen nach § 43a SGB XI für Menschen, die Eingliederungshilfe in besonderen Wohnformen erhalten, aufgeführt. Der LWV Hessen hat zu dem Thema systemwidrige Leistungen auch eine Broschüre erstellt.

5. Plant der LWV Hessen – neben etwaigen juristischen Aspekten – auch ggf. weitere politische Schritte, um der Forderung einer gesetzlichen Neureglung des § 43a SGB XI Nachdruck zu verleihen?

Anmerkung: Seinerzeit hatte Prof. Dr. jur. Felix Welti darauf hingewiesen, dass neben
den juristischen Fragestellungen auch nicht zu verkennen sei, dass auch aus politischen Gründen – etwa unter dem Aspekt der Inklusion – die getroffene Regelung politisch untragbar sei.
Das Thema Pflegeversicherungen/Pflegegeld (§ 43a SGB XI) wurde zuletzt im Rahmen eines Gespräches am 05.07.2022 im Hessischen Ministerium der Finanzen durch Frau Landesdirektorin Susanne Selbert und Herrn Beigeordneten Dieter Schütz Herrn Staatsminister Michael Boddenberg vorgetragen. Weitere Aktivitäten sind derzeit nicht in Planung. Auch anlässlich dieses Gespräches wurde eine aktuelle Broschüre erstellt, die sich mit systemwidrigen Leistungen der Eingliederungshilfe beschäftigt.

6. Wie hoch schätzt der LWV Hessen die aktuellen Mehraufwendungen im Jahr 2022 ein, die dem Verband jährlich entstehen, weil er die Differenz zwischen dem gedeckelten Leistungsanspruch und den tatsächlichen Aufwendungen für den  Personenkreis tragen muss?

Geht man davon aus, dass die durch die systemwidrige Beibehaltung von § 43a SGB XI bestehende Ungleichbehandlung dadurch ausgeglichen würde, dass auch in besonderen Wohnformen ein Anspruch auf Pflegeversicherungsleistungen im Umfang von § 43 SGB XI bestünde, ergäbe sich überschlägig Folgendes:

In 2021 haben wir für 8.486 Leistungsberechtigte (LB) (Stichtag Dezember 2021) Leistungen nach § 43 a SGB XI erhalten. Von diesen 8.486 LB sind in 4.920 Fällen die tatsächlichen Pflegegrade 1 - 5 in ANLEI hinterlegt. Zur Berechnung der Mehrbelastungen haben wir die Verteilung der 4.920 LB nach Pflegegraden auf die Gesamtheit der Fälle nach § 43a SGB XI prozentual umgerechnet. Demnach ergibt sich zwischen den monatlichen Leistungen nach § 43a SGB XI (monatlich rd. 2,26 Mio. €) und den möglichen Leistungen nach § 43 SGB XI (monatlich rd. 9,32 Mio. €) eine Differenz von monatlich rd. 7,06 Mio. €. Bezogen auf ein ganzes Geschäftsjahr somit eine Mehrbelastung von rd. 84,72 Mio. €. Unter ausschließlicher Berücksichtigung des Anspruchs auf Pflegeversicherungsleistungen nach § 43 SGB XI ergibt sich für das Jahr 2020 ein Betrag von bis zu 104 Mio. € jährlich respektive für das Jahr 2021 ein Betrag von bis zu 111 Mio. € jährlich (Bruttodarstellung), die als Mehrbelastung zum Tragen kommen.

Für das Jahr 2022 wird die Mehrbelastung noch höher ausfallen, kann allerdings derzeit noch nicht konkret beziffert werden.

Wir trauern:

... um unseren Fraktionsvoritzenden
Wolfgang Schrank

250 Wolfgang Schrank 

Der überraschende Tod unseres Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schrank macht uns sehr traurig. Seine Kompetenz, sein Optimismus und sein Einsatz für soziale Gerechtigkeit motivierte uns in unserer Arbeit im Landeswohlfahrtsverband. Wolfgang Schrank wird uns sehr fehlen!

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